Die Neuedition des "Rostocker Liederbuchs"


Das „Rostocker Liederbuch“ aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts überliefert 60 Stücke in niederdeutscher, hochdeutscher und lateinischer Sprache und zeichnet sich durch die Vielfalt und die Besonderheit der in ihm vertretenen Texttypen sowie durch die hohe Anzahl von 30, oftmals unikal tradierten Melodien aus. Es zählt schon wegen der niederdeutschen Stücke zu den wichtigsten Quellen für die deutsche Lyrik des Spätmittelalters (zumal des norddeutschen Raums); zugleich schlägt die Sammlung aber auch den Bogen zu Texten und Melodien aus den kulturellen Zentren Süddeutschlands und Frankreichs sowie zum überregional geprägten Repertoire des an der Universität gepflegten lateinischen Musiklebens. Initiiert und getragen wird diese Zusammenführung unterschiedlichster literarischer und musikalischer Traditionen durch einen studentischen und universitären Nutzerkreis, der sich auf der Basis von lateinischen Liedbeischriften nachzeichnen lässt.

Leider hat sich das Liederbuch nur fragmentarisch erhalten, weil es 1568 von dem für den Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg arbeitenden Buchbindermeister B. S. zerschnitten wurde, um damit die Einbanddeckel einiger Bände aus der herzoglichen Bibliothek zu verstärken. Entdeckt wurden die makulierten Blätter im Jahre 1914 durch den Rostocker Bibliothekar Bruno Claussen. Er ließ die erhaltenen Seiten des Liederbuchs aus den Einbänden herauslösen und sie nach einer von ihm rekonstruierten Reihenfolge zu einem Band vereinen, der heute unter der Signatur „Mss. philol. 100/2“ in den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Rostock aufbewahrt wird. Ferner publizierte Claussen 1919, anlässlich des fünfhundertjährigen Jubiläums der Universität Rostock, die meisten Texte des Liederbuchs, denen von dem Rostocker Musikwissenschaftler Albert Thierfelder fünfzehn ausgewählte Melodien beigegeben wurden (Cl). 1927 folgte dann die erste vollständige und deutlich verbesserte Ausgabe des Liederbuchs von Friedrich Ranke und Joseph Müller-Blattau (RMB), die sich indes auf die möglichst handschriftennahe Wiedergabe der Texte und Melodien konzentrierte und deshalb die komplexe Geschichte ihrer Tradierung lediglich kurz ansprach. Die vorliegende Neuedition präsentiert nun alle Stücke unter Heranziehung der umfangreichen Parallelüberlieferung; überdies bietet sie erstmals nach der Entdeckung der Handschrift eine philologisch genaue, zielsprachlich orientierte Übersetzung aller Texte sowie einen detaillierten Kommentar, der die sprachlichen, literarischen und musikalischen Eigentümlichkeiten des Corpus ausführlich erschließt.

Das „Rostocker Liederbuch“. Historisch-kritische Neuedition der Texte und Melodien, Übersetzung und Kommentar. Herausgegeben von Franz-Josef Holznagel, Hartmut Möller und Udo Kühne. Mit Beiträgen von Andreas Bieberstedt, Doreen Brandt und Anne Gessing. Unter Mitarbeit von Annika Bostelmann, Hellmut Braun und Martin Schröder.
Band 1: Edition und Übersetzung. Band 2: Kommentar.

Das Rostock Liederbuch. Band 1: Edition und Übersetzung
Das Rostocker Liederbuch. Band 2: Kommentar